Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Emma Seifert
Datum:
Dauer: 04:17 Minuten bisher gehört: 806
Frühjahr 1933, Berlin. Die NSDAP steht kurz davor, die letzte Wahl vor dem Zweiten Weltkrieg für sich zu entscheiden und somit die totale Macht über das Deutsche Reich zu erlangen. Viele Menschen sind beunruhigt und denken über eine Ausreise aus Deutschland nach. So auch Familie Kemper in „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. Emma Seifert verrät Ihnen mehr.

Manuskript

Text

Anna und ihre Familie sind Jüd*innen und Juden und müssen aufgrund der politischen Lage in Deutschland um ihre Sicherheit bangen. Aus diesem Grund begibt sich die Familie Kemper kurz vor den Wahlen 1933 auf die Flucht in die Schweiz. Das Kinder- und Jugendbuch „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ wurde 1971 von Judith Kerr veröffentlicht und handelt von ihrer Fluchtgeschichte in den 30er Jahren. In ihrem Roman erzählt sie autobiografisch von ihrer Kindheit und hebt dabei weniger die politischen Verhältnisse jener Zeit hervor, sondern eher die familiären. Sie charakterisiert, wie die Flucht die Identität ihrer Familie geprägt hat. Annas Vater Arthur ist Schriftsteller und Theaterkritiker und findet aufgrund seiner kritischen Meinung gegenüber Hitler und dem Nazi-Regime in der Schweiz keine Zeitung, die bereit ist, seine Artikel zu drucken. Infolgedessen zieht es die Familie weiter nach Paris. Doch auch dort haben sie mit finanzielle Sorgen zu kämpfen und so müssen sie nach einiger Zeit auch Frankreich verlassen. Regisseurin Caroline Link hat mit dem gleichnamigen Film 2019 eine erfreulich nah an der Buchvorlage bleibende Version geschaffen. Der Film funktioniert wie das Buch sowohl für Erwachsene als für Kinder und zeichnet sich besonders durch die herausragende schauspielerische Leistung der Anna, verkörpert von Riva Krymalowski (Kramalowski) aus. Bei Anna handelt es sich um ein überaus vorausschauendes und gewieftes Persönchen, mit einer schnellen Auffassungsgabe und einer entzückenden Mimik. Dabei hat sie immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. An der einen oder anderen Stelle erscheint es zugegebenermaßen etwas unglaubwürdig, dass sie erst neun Jahre alt sein soll. Nichtsdestotrotz fehlt es nicht nur Annas Art, sondern dem gesamten Buch und Film nicht an Humor und herzerwärmenden Momenten. Zum Beispiel bereuen Anna und Max im Buch, kurz nachdem das Eigentum ihrer Familie von den Nazis konfisziert wurde, dass sie nicht ihre Spielesammlung mit ins Exil genommen haben. Max äußert, dass Hitler wahrscheinlich in diesem Augenblick damit Dame spielt und Anna merkt an, dass er noch dazu bestimmt gerade ihr Kaninchen lieb hat, welches sie schmerzlicherweise zurücklassen musste. Auch die finanzielle Lage der Familie wird mit Humor genommen, als es zum wiederholten Male bei der Ankunft nach einer Reise nur Brot und „alten“ Käse gibt. Hierbei beschreibt Judith Kerr in ihrem Roman die Geldprobleme der Familie jedoch weniger misslich, als diese im gleichnamigen Film dargestellt werden. Im Familienfilm haben Arthur und Dorothea damit zu kämpfen, ihre Kinder mit existentiell wichtigen Dingen wie ausgewogenen Mahlzeiten zu versorgen. Im Buch hingegen kann sich die Familie besser über Wasser halten und hat sogar noch die Kapazitäten, um in den französischen Schulferien Familie Zwirn zu besuchen, in deren Gasthaus sie in der Schweiz untergekommen waren. So deutlich wie die Familie Kemper in der Geschichte im Zentrum des Geschehens steht, so gering werden die historischen Geschehnisse der damaligen Zeit beschrieben. Weder im Buch noch im Film ist das aufblühende NS-Regime deutlich in Form einer tödlichen Bedrohung zu spüren. So sind im Film keine Naziaufmärsche oder Hitleransprachen und auch keine Übergriffe, Waffen oder Uniformen zu sehen. Trotzdem wird die bedrohliche Situation den Kindern Max und Anna nicht verklärt oder gar verharmlost. Judith Kerr betonte außerdem, dass sie mit der Geschichte auch ihre eigenen Kindern erreichen wollte und veranschaulicht daher mit leichten und lockeren Elementen, was sie in ihrer Kindheit durchlebt hat. „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ ist als Buch ebenso wie als Kinofilm ein Erlebnis, das in jeden Geschichtsunterricht einer achten Klasse gehört. Schade ist nur, dass es bislang keine Anzeichen für eine Verfilmung der weiterführenden Bücher Judith Kerrs „Warten bis der Frieden kommt“ von 1975 und „Eine Art Familientreffen“ von 1978 gibt.