Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Robin de Greef
Datum:
Dauer: 04:03 Minuten bisher gehört: 338
Aktuell ist mit der AfD eine Partei im Deutschen Bundestag vertreten, deren Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland den Nationalsozialismus als, so wörtlich, „Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnet und das "Recht stolz zu sein auf Leistungen in beiden Weltkriegen" einfordert. Vergangene Woche fand im Rahmen der jährlichen Veranstaltungsreihe "Gedenken an die Opfer das Nationalsozialismus" des gleichnamigen Bündnisses im Alten Rathaus eine Podiumsdiskussion zu der Rolle von Erinnerungskultur und Gedenkstätten in Zeiten des Rechtsrucks statt. Mit dabei waren der ehemalige Leiter der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten Habbo Knoch, die Historikerin Cornelia Siebeck und Agnieszka Zimowska, Gewerkschaftssekretärin beim DGB Südniedersachsen-Harz. Die Schriftstellerin und Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen. Robin de Greef war für das StadtRadio vor Ort.
Dieser Beitrag wird Ihnen präsentiert von: Das Backhaus

(v.l.n.r.): Agnieszka Zimowska und Cornelia Siebeck (Bild: Bündnis Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus)

(v.l.n.r.) Habbo Knoch und Agnieszka Zimowska (Bild: Bündnis Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus)

Der Saal des Alten Rathauses war voll besetzt (Bild: Bündnis Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus)

Manuskript

Text

Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit. Seit 1996 ist der 27. Januar offizieller Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Frage, welche Bedeutung der Nationalsozialismus für das bundesrepublikanische Geschichts- und Nationalbewusstsein habe, sei allerdings seit jeher umkämpft, so die Historikerin Cornelia Siebeck. Dem Wunsch nach positiver nationaler Identität und dem Stolz auf die Nation, auf den auch die geschichtspolitischen Forderungen der AfD hinauslaufen, steht Siebeck zufolge das Ziel eines kritisch-reflexiven Geschichtsbewusstseins gegenüber.

 

O-Ton 1, Cornelia Siebeck, 27 Sekunden

"Es geht darum, aus dieser Vergangenheit zu lernen, diesen Zivilisationsbruch anzuerkennen und uns eben als Gesellschaft vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen immer wieder aufs Neue kritisch zu reflektieren. Und das heißt, dass wir in einer demokratischen Gesellschaft eben immer wieder aufs Neue uns darüber verständigen, was aus dieser Vergangenheit für die Gegenwart und vor allem auch für die Zukunft zu lernen ist in einem anhaltenden und offenen Prozess, den man im Prinzip auch nicht abschließen kann und will."

 

Text

Erst in den späten 90er Jahren habe sich diese Auffassung offiziell durchgesetzt und institutionalisiert, so Siebeck weiter. Einen Erinnerungskonsens habe es in der deutschen Gesellschaft allerdings nie gegeben. Habbo Knoch, der ehemalige Leiter der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, warnt vor diesem Hintergrund vor Selbstgenügsamkeit im Zusammenhang mit der Erinnerungskultur.

 

O-Ton 2, Habbo Knoch, 22 Sekunden

"Ich glaube es geht nicht um die AfD. Die Provokation erzeugt den Eindruck, es ginge darum. De facto geht es darum, dass diese Bewegung nichts anderes tut, als politisch zu artikulieren, was 30 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung und im Zweifelsfall auch mehr und in manchen Punkten vielleicht weniger seit 20, 30 Jahren und teilweise noch viel länger ohnehin wollen und für richtig halten."

 

Text

Überlebende des KZ Bergen-Belsen verwahren sich gegen die Beteiligung der AfD im Stiftungsrat der niedersächsischen Gedenkstätten. Im Januar dieses Jahres entschied der Staatsgerichtshof Bückeburg, dass eine verwaltungsrechtliche Gesetzesänderung rechtens sei, durch die die AfD aus den niedersächsischen Stiftungsgremien der Gedenkstätten ausgeschlossen wird. Knoch spricht sich dagegen für die Festlegung inhaltlicher Kriterien für den Ausschluss aus Stiftungsgremien aus.

 

O-Ton 3, Habbo Knoch, 20 Sekunden

"Wir müssen lernen, dass Gedenkstätten keine Orte sein können der normativen Überformung von Gesellschaft, weil eben das die Vorbehalte in der Gesellschaft gegen diese Einrichtungen bestärkt. Das müssen kontroverse Orte sein, an denen die Grundlagen unserer gesellschaftlichen Ordnung auch verhandelt werden können. Mit klaren Abgrenzungen."

 

Text

Eine Diskussion mit Vertretern der AfD auf sachlicher Grundlage hält Knoch dennoch für schwierig. Laut dem Vereín "Lagergemeinschaft Auschwitz" ist der Aufstieg der AfD gerade angesichts des Umstandes, dass aktuell nur noch wenige Überlebende von den nationalsozialistischen Verbrechen berichten können, eine besondere Herausforderung. Die Überlebenden nehmen allerdings nicht als einzige eine wichtige Rolle in der Erinnerungkultur ein, so Siebeck.

 

O-Ton 4, Cornelia Siebeck, 26 Sekunden

"Das, was wir heute als Erinnerungskultur haben, ist eben nie alleine von Überlebenden getragen worden, sondern immer von vielen Menschen, die sich davon betroffen fühlen. Ich glaube dafür muss man eben wirklich weiter sorgen, dass Menschen da Anschlusspunkte finden und Menschen das als ihre Geschichte begreifen, aus ihrer Geschichte heraus und aus ihren Anliegen an dieser Geschichte heraus diese Erinnerungskultur eben auch weiter gestalten und auch weiter tradieren."

 

Text

Siebeck zufolge ist es an der Zeit, dass sich Gedenkstätten offensiv für die Verteidigung liberaler und pluralistischer Grundwerte einsetzen. DGB-Gewerkschaftssekretärin Agnieszka Zimowska betonte außerdem die Relevanz von Gedenkstätten als lebendige Orte, die aktuelle Perspektiven mit einbeziehen. Auch zivilgesellschaftliches Engagement, beispielsweise im Rahmen des Göttinger Bündnis gegen Rechts, sei aktuell besonders wichtig.