Göttinger Kundgebung „Paragraphen 219a und 218 wegstreiken“
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Julia Kleine |
Datum: | |
Dauer: | 04:56 Minuten bisher gehört: 196 |

Die Kassler Ärztin Nora Sász bei der Göttinger Kundgebung Paragraph 219a und 218 wegstreiken (Bild: Julia Kleine)

Trotz des nassen Wetters war die Kundgebung am Göttinger Gänseliesel gut besucht (Bild: Julia Kleine)
Manuskript
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Trotz des kalten Nieselregens war der Platz vor dem Alten Rathaus bei der Kundgebung des Göttinger Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung gut gefüllt. Neben bunten Regenschirmen wurden auch einige Transparente hochgehalten. „Ob Kinder oder keine, bestimmen wir alleine“ war darauf zu lesen oder auch die schlichte Forderung „Weg mit §218 und 219a“. Diese Gesetze seien unzeitgemäß und sollten dringend abgeschafft werden, kritisiert das Bündnis. §219a, der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbietet, sei in den vergangenen Jahren zunehmend von Abtreibungsgegnern instrumentalisiert worden, beklagen die Aktivistinnen. Immer öfter seien Ärzte angezeigt worden, die öffentlich darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Auch die Kasseler Frauenärztin Nora Szász ist gemeinsam mit einer Kollegin wegen eines solchen Verstoßes gegen das „Werbungs“-Verbot angezeigt worden. Davon ließen sich die beiden Ärztinnen jedoch wenig beeindrucken:
O-Ton 1, Nora Szász, 23 Sekunden
„Es war für uns von Anfang an klar, dass wir das uns nicht bieten lassen und auch nichts streichen werden von der Webseite, was uns ja vom Staatsanwalt vorgeschlagen wurde. Und wir waren unsicher am Anfang, wie die Reaktionen sein würden. Wir sind ja in erster Linie arbeitende Frauenärztinnen. Und da ist natürlich schon eine Verunsicherung: Wie reagieren die Patientinnen, wie nehmen wir da Schaden? Denn als Ärztin hat man nicht gerne mit dem Gesetz zu tun.“
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Die Gerichtsverhandlung gegen die beiden Ärztinnen wurde mittlerweile verschoben, weil das Amtsgericht zunächst abwarten will, wie sich die Gesetzeslage in diesem Punkt entwickelt. Szász und ihre Kollegin wurden im Internet von Unbekannten bereits als Kindsmörderinnen oder Tötungsspezialistinnen beschimpft. Allerdings seien auch viele positive Reaktionen an sie herangetragen worden, berichtet Szász.
O-Ton 2, Nora Szász, 22 Sekunden
„Überraschend ist für uns, dass wir unglaublichen Zuspruch erfahren haben. Wir haben ganz, ganz viel Solidarität, viel Wärme, viel berührende, nahe Begegnungen mit Patientinnen gehabt. Und ja, wir begreifen uns mittlerweile als Teil einer wachsenden Bewegung, wie auch heute die Kundgebung des Bündnisses hier in Göttingen, ist ja auch ein Teil der Bewegung. Und da sind wir stolz da drauf."
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Auch die Göttinger Beratungsstelle Pro Familia war als Teil des Bündnisses bei der Kundgebung vertreten. In ihrer Rede machte die Paar- und Sexualberaterin Ute Wiese-Hast besonders auf die schlechte medizinische Versorgungslage aufmerksam. Die Zahl der Kliniken und Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, sei in den vergangenen 15 Jahren um rund 40 Prozent gesunken. So gebe es in Göttingen nur eine Klinik sowie einen niedergelassenen Arzt, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen würden. Die aktuelle Gesetzeslage mache es Frauen sehr schwer in Erfahrung zu bringen, welche Ärzte mit welchen Methoden diesen Eingriff vornehmen. Das Argument der Befürworter des Paragrafen 219a, dass die Informationen von Ärzten und Beratungsstellen bereits jetzt ausreichend seien, findet Wiese-Hast nicht überzeugend.
O-Ton 3, Ute Wiese-Hast, 14 Sekunden
"Ich halte das für sehr blauäugig ehrlich gesagt, weil natürlich haben die Beratungsstellen die Informationen. Aber um vielleicht vorher schon mal sich Gedanken darüber zu machen und schon mal vorab zu informieren, brauchen die Frauen diese Informationen."
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Noch ist die Zukunft des §219a unklar. Im vergangenen Dezember war nach zahlreichen Debatten ein Vorschlag der Großen Koalition öffentlich geworden. Er sieht vor, dass das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche zwar bestehen bleibt, ungewollt schwangere Frauen aber besser informiert werden. Zudem soll eine Studie zu seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen vorgenommen werden. Diese Kompromisslösung stößt bei den Bündnisaktivistinnen jedoch auf Unverständnis, da so die bestehenden Probleme in der Gesetzgebung nicht beseitigt würden und die Studie ein Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen sei. Auch Frauenärztin Szász sieht die bisherigen Kompromissvorschläge aus der Politik kritisch.
O-Ton 4, Nora Szász, 30 Sekunden
„Ich bin sehr skeptisch. Ich denke, die politisch Verantwortlichen sind eigentlich in der Pflicht, eine Lösung zu finden für dieses Desaster, in dem wir uns eigentlich befinden. Und das, was wir da jetzt an Vorschlag bekommen haben kurz vor Weihnachten, das sagt ja vor allen Dingen in erster Linie aus, dass der §219a erhalten bleiben soll. Und ich weiß nicht, wie das gehen soll, dass er erhalten bleibt, aber trotzdem die uns zugesagte Rechtssicherheit und auch die Informationsmöglichkeiten für Frauen, dass die trotzdem gewährleistet sein sollen."
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Um ihren Forderungen auf der politischen Ebene Nachdruck zu verleihen, sammelten die Mitglieder des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung bei der Kundgebung Unterschriften von Unterstützern. An diesem und einem weiteren Aktionstag kamen nach Angaben der Bündnismitglieder insgesamt knapp 470 Einzelunterschriften zusammen sowie Unterschriften von insgesamt 14 Bündnissen. Diese wurden nun zusammen mit einem offenen Brief an die Göttinger Bundestagsabgeordneten Fritz Güntzler, Thomas Oppermann, Konstantin Kuhle und Jürgen Trittin geschickt. In dem Schreiben wurden die Abgeordneten dazu aufgefordert, sich für die Abschaffung des Paragrafen 219a einzusetzen.
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