Schaulustige bei Rettungseinsätzen: Ein Mitarbeiter der Göttinger Feuerwehr nimmt Stellung
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Sophia Siehl |
Datum: | |
Dauer: | 04:35 Minuten bisher gehört: 383 |
Manuskript
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Immer öfter ist in Zeitungen zu lesen, dass die Zahl der Schaulustigen an Unfallstellen stetig steigt und auch das Verhalten gegenüber Rettungskräften immer aggressiver wird. Es wird darüber berichtet, wie Menschen, wenn sie einen Unfall beobachten, anhalten, um das Geschehen besser mitverfolgen zu können, es filmen und teilweise ins Internet stellen und so die Arbeit von Einsatzkräften erheblich behindern. Matthias Wilke, der Koordinator Einsatz bei der Feuerwehr Göttingen, erzählt von einem Einsatz mit Gaffern.
O-Ton 1 , Matthias Wilke, 20 Sekunden
„Wo wir es vor ein paar Wochen so hatten, dass da jemand vom Dach springen wollte und die Bewohner sich im Innenhof versammelt hatten zum Zugucken und auch ihre kleinen Kinder mit dabei hatten. Was wir natürlich dann auch nicht besonders schön finden und wir dann auch die Leute angesprochen haben und weggeschickt haben. Und wo dann auch wirklich angefangen wurde zu diskutieren darüber „warum ich denn jetzt hier weggehen soll“.
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Sein zweiter und gleichzeitig auch letzter Einsatz mit Schaulustigen war ein Wohnungsbrand in der Groner Landstraße. Die Feuerwehr rückte auf Grund eines Brandmeldealarms aus. Diese Einsätze seien oft Fehleinsätze. Wertvoller für die Feuerwehr seien Anrufe mit weiteren Informationen. Als die Feuerwehr eintraf, war der Innenhof voller Menschen, die die Flammen filmten, anstatt die Feuerwehr zu rufen. Diese Ereignisse seien aber längst kein Alltag, so Wilke. Gaffer, die die Rettungskräfte aktiv behindern und bei ihrer Arbeit stören, seien Einzelfälle. Dass heutzutage immer mehr auf Smartphones gefilmt wird, ist auch den Feuerwehrkräften aufgefallen. Dies sei laut Wilke aber der normale Lauf der Dinge. Das Teilen der Filme auf Facebook vergleicht er mit den früheren Diskussionen am Stammtisch. Doch dank der Videos können die Handgriffe der Einsatzkräfte genau studiert und diskutiert werden. Während eines Einsatzes würde das aber nicht noch mehr Druck auf die Schultern der Rettungskräfte legen, so Wilke.
O-Ton 2, Matthias Wilke, 26 Sekunden
„Man denkt natürlich schon drüber nach, was man jetzt alles macht und tut, aber das sollte man ja im Grunde eh. Es ist natürlich erst einmal komisch, weil wir sind alle jetzt keine ausgebildeten Leute, die vor der Kamera stehen oder wie im Fernsehen arbeiten, aber im Grunde macht man halt seinen Job. Und wir sind auch nur Menschen, da passieren auch Fehler. Aber im Großen und Ganzen müssen wir uns da auch nicht verstecken. Also wir sind gut in dem, was wir tun. Man kann alles diskutieren und kaputt reden, aber man muss da auch irgendwie selbstbewusst voranschreiten und sagen, wir haben das so gemacht, weil es halt so ist.“
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Verstecken müssen sich die Helfer nicht. Aber müssen sie sich schützen? Die Deutsche Feuerwehrgewerkschaft hat gerade erst stichsichere Schutzwesten für Rettungsdienste und Feuerwehr gefordert. Begründet wurde dies mit dem Arbeitsschutz, der durch Messerattacken auf Einsatzkräfte nicht eingehalten werden würde. Der Kreisfeuerwehrverband Göttingen hat das abgelehnt. Er verwies darauf, dass zum einen die Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden würde, außerdem würden die „Retter in Rüstung“ womöglich Ordnungskräften zugeordnet werden, wodurch das Aggressionspotenzial steigen könnte. Zum anderen würden solche Westen nicht vor Tritten und Schlägen schützen, die zu den häufigsten Angriffsarten gehören. Auch Wilke hält Westen für nicht nötig.
O-Ton 3, Matthias Wilke, 25 Sekunden
„Ich würde das auch nicht überbewerten, also natürlich kann immer was passieren. Aber ich denke wir können uns auch nicht vor jeder Attacke schützen. Und sage ich mal heute schaffen wir dann vielleicht stichsichere Westen an und morgen schusssichere Westen und irgendwann reichen die vielleicht auch nicht mehr. Das sind ja also zum Glück Einzelfälle, das würde ich jetzt auch nicht pauschalisieren oder überbewerten. Klar, kann das passieren und passiert leider auch. Aber man kann sich leider nicht vor allen Gefahren der Welt schützen. Das muss man halt immer abwägen, was ist wichtig und wo lohnt es sich auch.“
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Die Göttinger Einsatzkräfte bleiben also weitestgehend von solch aggressivem Verhalten verschont. Wilke meint, dass es ganz natürlich sei, sich so etwas Spannendes und Neues anzuschauen: Egal, ob das nun ein brennender Mülleimer oder der große Hubschrauber-Einsatz sei. In manchen Artikeln heißt es, dass die Einsätze aufwendiger werden, weil mehr Personal mitgeschickt werden muss, um die Gaffer zum Beispiel durch das Aufspannen von Decken zurückzuhalten. In Göttingen ist das laut Wilke nicht so.
O Ton 4, Matthias Wilke, 15 Sekunden
„Also wir schicken jetzt nicht extra Leute dafür mit. Wenn wir das Personal haben, dann machen wir das. Aber wenn das halt gerade nicht geht, zum Persönlichkeitsschutz irgendwelche Decken aufzuspannen oder Absperrwände, dann machen wir das auch erst mal nicht, dann müssen wir uns erst auf die wichtigen Sachen konzentrieren und die erst mal abarbeiten. Und das andere folgt dann danach.“
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Grundsätzlich sei es also nicht weiter schlimm, wenn Leute am Rand stehen und gucken, was passiert – solange sie nicht im Weg stehen und die Einsatzkräfte behindern. Problematisch werde es jedoch, wenn die Personen gebeten werden, den Ort zu verlassen und dieser Bitte nicht nachkommen.
O-Ton 5, Matthias Wilke, 20 Sekunden
„Das ist einfach auch nicht so oft, dass man da Probleme hat. Aber dann,wenn es Einzelfälle gibt, kann man die Leute auch darauf ansprechen. Ist aber dann auch oft so, wenn man sie darauf anspricht, dann ist da auch keine wirkliche Einsicht da. Dann wird halt darüber diskutiert und gesagt: ‚Warum? Verstehe ich überhaupt nicht. Ich hab doch das Recht dazu‘ und so weiter. Das ist dann schon echt schade. Aber wir versuchen natürlich mit den Leuten zu reden. Und wenn das nicht fruchtet, dann schicken wir sie auch einfach weg.“
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