Auftakt der „Salon-Debatten“ im Forum Wissen
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Kieran Cuhls |
Datum: | |
Dauer: | 04:25 Minuten bisher gehört: 343 |
Die Medizinethikerin Prof. Dr. Claudia Wiesemann, der designierte Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Prof. Dr. Patrick Cramer, der Moderator Vladimir Balzer, der Direktor des Volkswirtschaftlichen Instituts für Handwerk und Mittelstand an der Universität Göttingen, Prof. Dr. Kilian Bizer und die hochschulpolitische Sprecherin der Grünen im Niedersächsischen Landtag Pippa Schneider (v.l.) (Bild: Kieran Cuhls)
Manuskript
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Wenn das Forum Wissen eine Debatte veranstaltet, liegt der Gedanke nahe, dass es inhaltlich um wissenschaftliche Themen geht. So auch beim Auftakt der Salon-Debatten, einer neuen Diskussionsreihe des Forum Wissens. Ausgangspunkt der Diskussion war die Fragestellung, ob bahnbrechende Erkenntnisse in der Wissenschaft immer seltener werden. Der Moderator der Veranstaltung, Vladimir Balzer, fasst den Gesprächsanlass folgendermaßen zusammen:
O-Ton 1, Vladimir Balzer, 16 Sekunden
„Wir sind alle vielleicht etwas aufgeschreckt worden durch eine Studie in der Zeitschrift „Nature“, wo es hieß von 1945 bis 2010 ist zumindest was das Innovative, die Neuerungen, das Bahnbrechende angeht angeblich um 90 Prozent zurückgegangen, was die Wissenschaft so liefert oder eben auch nicht liefert.“
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Prof. Dr. Patrick Cramer, der designierte Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, hat hierauf eine klare Antwort. Demnach ist die Anzahl der disruptiven, also bahnbrechenden, Forschungen nicht zurückgegangen. Stattdessen sieht er folgenden Sachverhalt vorliegen:
O-Ton 2, Patrick Cramer, 20 Sekunden
„Was zurückging, ist der prozentuale Anteil. Das heißt: Sie haben eine riesige Produktion von Publikationen, die nie oder fast nie zitiert werden. Es ist diese Flut an Publikationen, aber die disruptiven, die dann wirklich einen Unterschied machen, wo das Feld neu denkt, sich neu orientiert, die sind eigentlich konstant geblieben über die Zeit.“
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Die hohe Quantität wissenschaftlicher Paper wurde daraufhin zu einem der prägenden Themen des Abends. Laut dem Direktor des Volkswirtschaftlichen Instituts für Handwerk und Mittelstand der Universität Göttingen, Prof. Dr. Kilian Bizer, ist der Wandel der wissenschaftlichen Kultur in den letzten Jahren ein wichtiger Grund hierfür:
O-Ton 3, Kilian Bizer, 26 Sekunden
„Wir hatten früher Monographien als Dissertationen. Jetzt haben wir kumulative Dissertationen, die aus zwei oder drei, manchmal auch mehr Papieren bestehen. Und da entsteht dann genau dieser Publikationsdruck, dass man die schnell hervorbringen muss, wo es eigentlich viel besser wäre, und wo ich auch nach wie vor nicht verstehe, warum wir nicht sagen: ein Paper reicht doch. Und das muss halt besonders gut werden. Statt zwei oder drei Papiere lieber weniger und dafür eben besser. Da sind wir ganz schwach drin, uns da neu zu orientieren.“
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Die hohe Anzahl an wissenschaftlichen Papern wird in der Diskussionsrunde insgesamt sehr kritisch gesehen. Die Medizinethikerin Prof. Dr. Claudia Wiesemann betont hierbei außerdem, dass die hohe Menge an Forschungsarbeiten der wissenschaftlichen Qualität eher schade und obendrein die Glaubwürdigkeit untergrabe. Es drängt sich also die Frage auf, weshalb die Quantität wissenschaftlicher Arbeiten wichtiger zu sein scheint als die Qualität. Prof. Cramer sieht eine eindeutige Ursache für diese Entwicklung:
O-Ton 4, Patrick Cramer, 25 Sekunden
„Wo kommt die Problematik her? Die kommt natürlich aus dem Drittmittelbereich, weil sie kurze Laufzeiten haben und weil die Universitäten unterfinanziert sind, müssen die eigentlich … können die nur über Drittmittel richtig groß forschen. Sie müssen eigentlich schon wissen was rauskommt, wenn sie einen Antrag schreiben. Und das ist die Problematik: schnell nachweisen, dass man was produziert hat, aber es geht ja bei dieser disruptiven Forschung eben nicht ums Produzieren, sondern es geht darum, was Neues zu finden.“
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Laut Cramer sind die zentralen Probleme hierbei also systematischer Natur. Daraus resultiert die Notwendigkeit seitens der Politik zu handeln. Dass diese Notwendigkeit erkannt wird, bestätigte die hochschulpolitische Sprecherin der Grünen im Niedersächsischen Landtag, Pippa Schneider:
O-Ton 5, Pippa Schneider, 14 Sekunden
„Ich glaube, dass vieles über Finanzierung läuft. Dass wir auch Finanzierung nochmal neu denken müssen. Dass wir versuchen wollen, mehr Grundfinanzierung für die Hochschulen zur Verfügung zu stellen, damit eben nicht alles nur über Projektfinanzierung, über Drittmittel laufen muss.“
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Neben der Problematik der Drittmittelfinanzierung wurden außerdem die Arbeitsbedingungen der Forschenden als großes Hemmnis für Innovationen in der Wissenschaft identifiziert. Schneider fasst die wesentlichen Probleme zusammen:
O-Ton 6, Pippa Schneider, 30 Sekunden
„Also, dass wir sehr, sehr kurze Vertragslaufzeiten haben. Ständige Kettenbefristung sowohl bei den studentischen Beschäftigten als auch später im Wissenschaftssystem und dass man sich einfach die ganze Zeit, darüber Gedanken macht: Wo bin ich in einem Monat? Wo muss ich mich bewerben? Und auch einfach die Zeit braucht, Bewerbungen zu schreiben und die nicht in seine Forschung stecken kann. Und natürlich, wenn man sich darüber Gedanken macht: Habe ich noch genug Gehalt in einem halben Jahr? Kann ich mich noch ernähren? Kann ich meine Familie ernähren? Dann sind die Gedanken nicht in der Innovation, die man eigentlich schaffen soll.“
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die zugrundeliegende Fragestellung zu einer breiten Diskussion über die Mängel des wissenschaftlichen Systems und notwendige Veränderungen entwickelt hat. Die weitere Entwicklung in der Wissenschaft und ein möglicher Paradigmenwechsel bleiben spannend.
Zur Verfügung gestellt vom StadtRadio Göttingen
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